Biologie des Braunbrustigels

Systematik und Vorkommen

Die wichtigsten Körpermerkmale des Braunbrustigels in Stichworten

Die besondere Abwehrstrategie des Igels

Nahrung

Sinnesleistungen

Paarung

Jungenaufzucht

Winterschlaf

Merkblatt: Das Jahr des Igels

Weiterführende Literatur zum Thema Igelbiologie

Links zum Thema Igelbiologie


Systematik und Vorkommen

Als Mitglied der zoologischen Ordnung der Insektenfresser (Insectivora) gehört der Igel zu den ältesten noch lebenden Säugetieren. Die Familie der Igel (Erinaceidae) entstand vor rund 53-37 Millionen Jahren. Etwas später dann, vor etwa 37–23 Millionen Jahren, teilten sich die Erinaceidae in zwei Unterfamilien: in die ursprünglicher gebliebenen Haar- oder Rattenigel und in die Stacheligel (Erinaceinae).
Zur Unterfamilie der Stacheligel, auch „Echte Igel“ genannt, gehören die Gattungen: Mittelafrikanische Igel, Kleinohrigel, Ohrenigel, Wüstenigel und Steppenigel. Vertreter dieser Gattungen leben in Europa, Asien und Afrika in ganz unterschiedlichen klimatischen Regionen.
Der bei uns heimische Braunbrustigel (Erinaceus europaeus) gehört zur Gattung der Kleinohrigel (Erinaceus) und ist die einzige in der Schweiz natürlich vorkommende Igelart.
Der Braunbrustigel ist auch im restlichen Europa weit verbreitet: sein Gebiet erstreckt sich von der Iberischen Halbinsel bis nach Skandinavien und Nordostrussland.
Eng verwandt mit dem Braunbrustigel ist der Weissbrustigel, der in Mittel- und Südosteuropa, sowie in Russland und Westasien lebt. Vom Braunbrustigel unterscheidet er sich vor allem durch die hellere Fellfärbung im Brustbereich.

 

Die wichtigsten Körpermerkmale des (ausgewachsenen) Braunbrustigels in Stichworten

Körperlänge: 25–30cm
Körpergewicht: 800–1500g
Beinlänge: 10–15cm (kürzer wirkend da meist in Beugestellung gehalten)
Zehen: an Vorder- und Hintergliedmassen je 5, mit feinen Krallen versehen
Augen: schwarz, glänzend, kugelig vorstehend
Ohren: klein
Schnauze: spitz
Nase: feucht
Schwanz: 2-3cm lang, kaum sichtbar
Fell: graubraun und relativ rauh, bedeckt Gesicht, Brust, Bauch, Beine
Stachelkleid: bedeckt hintere Kopfpartie, Rücken und Körperseiten
Anzahl Stacheln: 6000–8000
Stachellänge: 2–3cm
Stachelaufbau: modifiziertes Haar, im Innern hohl
Stachelfärbung: hell-dunkel gebändert (dient der Tarnung)
Stachelwechsel: Stachel wird bei Verlust ersetzt (aber kein regelmässiger Wechsel analog dem Haarwechsel anderer Tierarten)
Äussere Geschlechtsmerkmale: beim männlichen Tier in der Mitte des Bauches Präputium (Vorhaut) als deutliche Ausstülpung sichtbar, beim weiblichen Tier Scheide knapp vor dem Anus

 

Die besondere Abwehrstrategie des Igels

Das Stachelkleid schützt den Igel vor den meisten seiner natürlichen Feinde. Versucht ein Fressfeind den Igel an den stachellosen Körperstellen zu packen, wird sofort die stachelige Rüstung in Position gebracht. Die Stacheln des Stirnbereichs werden wie ein Visier übers Gesicht gezogen und der untere Teil der Körperseite wird geschützt, indem sich der Igel leicht zur Seite neigt. Durch dieses Verhalten entzieht der Igel einem potentiellen Angreifer jede Möglichkeit, ihn an einer ungeschützten Stelle zu ergreifen. Gleichzeitig werden die Stacheln mit Hilfe der Hautmuskeln kreuz und quer aufgerichtet, ein undurchdringlicher Wald kleiner Bajonette, den nur noch Tiere mit sehr langen Krallen zu durchdringen vermögen. Versucht der Feind, an den bis anhin noch ungeschützten Bauch des Igels zu kommen, kugelt sich der Igel komplett ein. Diverse Muskelpartien sind an diesem Vorgang beteiligt, als letztes kontrahiert sich ein ringförmiger Muskel entlang der Stachel-Fell-Grenze und verschliesst den Igel,ähnlich einem Sack, vollständig.

 

Nahrung

Der Igel richtet sich in seiner Aktivität nach dem Futter. Und da dieses hauptsächlich nachts gut erreichbar ist, geht er in der Dunkelheit „auf Pirsch“ und verschläft den Tag in einem seiner Igel frisst Krötediversen Verstecke. Auf dem Speiseplan des Insektenfressers Igel stehen naturgemäss an erster Stelle Käfer, Raupen, Heuschrecken, Ohrwürmer und andere Insekten. Aber auch Regenwürmer und Tausendfüsser schmecken dem Stacheltier. Schnecken hingegen machen nur etwa 10% Prozent der Igelnahrung aus. Bei entsprechender Gelegenheit bedient sich der Igel auch gerne mal an Eiern von bodenbrütenden Vögeln oder frisst, was ihm sonst an tierischem Futter vor die Nase kommt, auch Aas verschmäht er dabei nicht. Pflanzliche Nahrung hingegen ist für den Igel nicht geeignet, sein einfach gebauter Magen-Darmtrakt kann diese nicht verwerten. Der Igel der sich an Fallobst gütlich zu tun scheint, interessiert sich deshalb wohl eher für den Wurm im Apfel als für den Apfel selber. Es sei denn, es herrscht Trockenheit und die Trinkgelegenheiten fehlen, dann kann auch mal der Wasserbedarf via (dem stark wasserhaltigen) Obst gedeckt werden. Und ab und an wissen scheinbar auch Igel nicht so genau, was ihnen wirklich gut tut und man kann beobachten, wie sie, auch ohne Durst, ein kleines Stück reifes Obst verzehren – die Stachelkerle haben nämlich eine Vorliebe für Süsses!

 

Sinnesleistungen

Bei der Futtersuche verlässt sich der Igel an erster Stelle auf seine hervorragende Nase. Diese immer schnuppernd auf den Boden gerichtet, entgeht ihm so weder der Regenwurm unter der Erdoberfläche noch der kleinste Käfer. Diese exzellente Leistung der Nase findet ihre Entsprechung in der Struktur des Igelhirns: der Bereich der für die Geruchwahrnehmung verantwortlich ist, ist im Vergleich zum sonst kleinen und einfach gebauten Igelhirn überdimensional angelegt.
Neben der Nase steht dem Igel zudem ein weiteres Riechorgan zur Verfügung, das sogenannte Jacobsonsche Organ, zwei mit Riechschleimhaut ausgekleidete Hohlräume im Bereich des Nasenbodens, welche durch eine Öffnung im Gaumen mit dem Maul verbunden sind. Mit der Zunge aufgenommene Geruchsstoffe werden dem Jacobsonschen Organ zugeführt und dort wahrgenommen.
All dies befähigt den Igel zu einer Geruchswahrnehmung, wie sie sonst seinesgleichen sucht. Unter Umständen steht das Stacheltier bezüglich Riechleistung sogar ganz an der Spitze aller Säugetiere.

Eine der wohl eigentümlichsten Verhaltensweisen des Igels, das Sich-Einspeicheln, steht ebenfalls in Zusammenhang mit der Geruchswahrnehmung. Der Igel kaut dabei auf einem Gegenstand herum, bildet eine grosses Menge schaumigen Speichel, prüft die darin enthaltenen Geruchsstoffe im Jacobsonschen Organ und spuckt den Speichel anschliessend auf seine seitlichen Stacheln. Das Verhalten tritt vermutlich vor allem dann auf, wenn der Igel auf ihm bis anhin unbekannte Gerüche trifft und kann deshalb bei Jungtieren häufiger beobachtet werden als bei ausgewachsenen Igeln.

Neben der Nase ist auch das Gehör des Igels sehr gut entwickelt und viel empfindlicher als beispielsweise bei uns Menschen. Der Igel hört Geräusche bis in den Ultraschallbereich mit Frequenzen bis etwa 60’000 Hz (der Mensch im Vergleich dazu nur bis zu einer Frequenz von etwa 16’000 Hz).

Dafür ist die Sehfähigkeit des Igels nur mässig gut. Unbewegte Gegenstände werden vom Igel vermutlich nur unscharf wahrgenommen, was für den nachtaktiven Stöberer aber kein wirklicher Nachteil ist.

 

Paarung

Der Igel ist ein typischer Einzelgänger. Artgenossen im gleichen Gebiet werden zwar toleriert, der Kontakt zu ihnen wird aber nicht gesucht. Ab Ende April allerdings verändern die Igelmännchen ihre Verhaltensweise. Das schöne Geschlecht zieht sie plötzlich magisch an: die Paarungszeit hat begonnen und dauert bis Ende August. Igelmännchen auf Brautschau vergrössern ihren monatlichen Aktionsraum (Gebiet, das ein Igel in einem Monat durchstreift) von ca. 20 auf 100 ha1 und können pro Nacht bis 5 km Wegstrecke zurücklegen.

IgelpaarungDem eigentlichen Geschlechtsakt geht eine Treibephase voraus. Das Männchen umkreist das Weibchen, welches sich i.d.R. zuerst bitten lässt, den Partner anfaucht oder wegboxt. Dieses Paarungsritual wird „Igelkarussell“ genannt und kann mehrere Stunden dauern. Nach erfolgreicher Paarung, welche übrigens nur stattfinden kann, wenn das Weibchen kooperiert und seine Stacheln flach anlegt, verlässt das Männchen seine Partnerin. Igelweibchen sind immer „alleinerziehende“ Mütter.

1Zingg, R. (1994): Aktivität sowie Habitat- und Raumnutzung von Igeln in einem ländlichen Siedlungsgebiet. Dissertation Universität Zürich, Zürich.

 

Jungenaufzucht

Wie für den Winterschlaf braucht es auch zur Aufzucht der Igelbabys ein stabiles wärmeisoliertes Nest. Ein Hohlraum wird mit Blättern, Gras und anderem Nistmaterial ausgepolstert, und nach einer Tragzeit von rund 35 Tagen wirft die Igelin 2-7 Jungtiere. Im Schweizer Mittelland dauert die Babysaison von ca. Mitte Mai bis September, der Grossteil der Igeljungen kommt in den Monaten Juni bis August zur Welt.
Die neugeborenen Igel sind noch unbehaart, tragen aber bereits erste weiss gefärbte Stacheln. Augen und Ohren der Igelbabys sind noch geschlossen, sie öffnen sich erst im Alter von 2 Wochen.
Igelmutter mit JungtierenIn ihrer allerersten Lebenszeit verlassen die Kleinen das Nest nicht. Aber ab einem Alter von ca. 3.5 Wochen erkunden die Jungigel selbstständig die nähere Umgebung ihrer Behausung - und dies ab und zu auch am Tag. Im Gegensatz zu älteren Igeln, lässt Tagaktivität bei solchen Jungigeln also nicht zwingend auf eine problematische Situation schliessen. Oft sind sie ohne Mutter unterwegs, da diese in weiterer Distanz zum Nest ihr Futter sucht. Dies bedeutet auch, dass die kleinen Igel selber erlernen müssen, was sie fressen können und was nicht. Das Ganze verläuft unter dem Motto „Versuch und Irrtum“: die Jungigel kauen auf allem herum, was ihnen vor die Nase kommt und entdecken auf diese Weise, was fressbar ist. In der Zeit ihrer ersten Ausflüge sehen die Igeljungen bereits wie fertige, wenn auch noch sehr kleine Igel aus und wiegen etwa 150-200g. Die Mutter säugt die Kleinen noch weitere 2.5 Wochen, bis sie dann in einem Alter von 6 Wochen vollkommen selbstständig sein müssen. Viele Jungigel überleben diese erste Jugendzeit allerdings nicht. Ganz schlecht sind ihre Karten, wenn die Mutter während der Säugeperiode ausfällt, sei es, weil sie zu wenig Milch hat oder weil ihr etwas passiert ist.
Nachdem die Mutter den Wurf verlassen hat, bleiben die Jungigel unter Umständen noch einige Zeit beieinander, bis jedes der Tiere seiner Wege zieht.

 

Winterschlaf

Igel fallen nicht, wie manchmal fälschlich angenommen wird, wegen der Kälte in den Winterschlaf. Diesen Zustand, der übrigens herzlich wenig mit einem normalen „Schlaf“ zu tun hat, nehmen sie ein, um den Nahrungsmangel in der kalten Jahreszeit zu überbrücken. Damit der Igel ohne Futter überleben kann, werden alle Körperfunktionen auf das mit dem Leben gerade noch zu vereinbarende Mindestmass reduziert. So fällt die Körpertemperatur von 36°C (im Wachzustand) auf etwa 5°C, die Herzfrequenz reduziert sich von 180–250 Schlägen pro Minute auf 8–20 und die Atemfrequenz sinkt von 40–50 Atemzügen auf 3–4. Ausgelöst wird der Winterschlaf durch das allmähliche Verschwinden der Futtertiere, abnehmende Aussentemperaturen und Tageslängen und durch hormonelle Umstellungen beim Igel.
Der Winterschlaf dauert je nach Region und klimatischen Verhältnissen von November bis Ende März / Mitte April. Der Igel verschläft allerdings nicht die ganze Zeit am Stück. Zwischenzeitliches Aufwachen ist normal, meistens verbleibt der Igel dabei aber im Nest und bleibt deshalb unentdeckt.
Damit ein Igel diesen körperlichen Extremzustand übersteht, braucht er im Spätherbst neben einem kompakt gebauten, gut temperaturisolierenden Nest vor allem genügend Fettreserven. Bei einigen Jungtieren ist letzteres aber nicht gegeben. Ein Jungigel sollte im November mindestens 500g auf die Waage bringen, liegt sein Körpergewicht deutlich darunter, stehen seine Chancen, den nächsten Frühling zu erleben, nicht mehr allzu gut. Vor allem erst Ende des Sommers geborene Jungtiere sind aber im Spätherbst oft noch von den „matchentscheidenden“ 500g meilenweit entfernt. Spürend, dass sie so nicht in den Winterschlaf können, trifft man sie bis weit in den Dezember hinein auf Futtersuche an. Der Hunger treibt die Tiere oft auch am Tag aus dem Versteck. Allerdings ist das Unterfangen meist von Beginn weg zum Scheitern verurteilt. Sofern überhaupt noch vereinzelt Futtertiere vorhanden sind, genügen diese in keiner Weise, um das Gewicht des Igels zu erhalten, geschweige denn zu erhöhen. Der Winterschlaf ist deshalb auch ganz entscheidend mitverantwortlich für die sehr hohe Sterblichkeit von Jungigeln in ihrem ersten Lebensjahr. Von den in einem Jahr geborenen Jungtieren erleben nur etwa 25% das nächste Frühjahr. Eine ausserordentlich harte Selektion der Natur, die aber garantiert, dass nur die vitalsten und geschicktesten Tieren erwachsen werden und somit ihr Erbgut weitergeben können.
Aber auch für Jungtiere mit genügend Gewichtsreserven und erwachsene Igel ist der Winterschlaf eine harte Prüfung: Bis ins nächste Frühjahr verlieren die Tiere durchschnittlich 30% ihres „Startgewichtes“ (Körpergewicht vor Schlafbeginn).
Trotzdem ist der Winterschlaf ein wichtiger Bestandteil im Leben der einheimischen Stacheltiere. Untersuchungen zeigten dann auch, dass Igel, die künstlich vom Winterschlaf abgehalten wurden (indem man sie den ganzen Winter über indoor durchfütterte), im Frühling deutlich mehr Probleme der unterschiedlichsten Art aufwiesen als Igel, die normal Winterschlaf halten konnten.

 

Das Jahr des Igels

Oeffnet Illustration Jahreskreis des Igels (PDF 5 MB)

 Das A3-Merkblatt "Das Jahr des Igels!" können Sie auch selber ausdrucken: Druckversion

 

Weiterführende Literatur zum Thema Igelbiologie

  • Frei, A. (2009): Der Igel. WILDBIOLOGIE 1/25a, WILDTIER SCHWEIZ, Zürich
  • Neumeier, M. (2018): Igel im Garten. Franckh-Kosmos Verlag, Stuttgart

 

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